Vorgänge auf der Versammlung der „Studenten stehen auf Nürnberg/Erlangen“

20.11.21: Versammlung und Demonstrationszug der „Studenten stehen auf Nürnberg/Erlangen“ mit Beteiligung aus der rechten Szene und Bewegung rund um Querdenken. Im Nachgang zeigten sich Teilnehmer:innen und Organisator:innen begeistert von den „Freiheiten“ die sie an diesem Tag in Erlangen genießen durften und kündigten weitere Versammlungen an. Wir haken nach und stellen eine Anfrage zum Vorgehen von Polizei und Ordnungsbehörden …

Anfrage: Am Samstag, den 20.11.2021, fand in Erlangen eine Versammlung der sog. „Studenten stehen auf Nürnberg/Erlangen“ statt.
Bereits im Vorfeld der Veranstaltung wurde in den Social-Media-Kanälen der Gruppe wissenschaftliche Fakten geleugnet und antisemitisch aufgeladene Verschwörungserzählungen verbreitet. Mehrfach wurde postuliert, dass Rockefeller, Gates und andere die „Tötung von Menschen“, eine „Bevölkerungsreduktion“, planen – und Regierungen als „Hauptmarionetten“ mitmachen würden. Es wurden Hoffnungen geäußert, dass „die verantwortlichen zur rechenschaft gezogen werden“ und dafür „zur not eigenjustiz“ ausgeübt werde (alle Fehler im Original). Ein Mitglied der Gruppe hielt fest: „wäre ich ein betroffener student würde blut fliesen“ (alle Fehler im Original). Ein inhaltlicher Widerspruch erfolgte auf solche Aussagen kaum. Dabei zeigt der Mord an einem Tankwart in Idar-Oberstein eindringlich die möglichen Konsequenzen, wenn Verschwörungsideolog:innen für sich ein wahnhaftes vermeintliches Widerstandsrecht postulieren, sich – mit ihren Worten – „im Endkampf“ wähnen.

Bezüglich der angezeigten Versammlung wurde sich offenbar zwischen Polizei, Ordnungsbehörde und Organisator:innen darauf verständigt, dass sich der Demonstrationszug an der Lewin-Poeschke-Anlage formiert um dann über die Ebrardstraße zum Röthelheimpark zu ziehen. Darüber hinaus wurde der Aufzug offenbar zeitlich so verlegt, sodass er im Tageslicht stattfinden und mit dem Einbruch der Dunkelheit beendet werden musste.

An der Versammlung selbst beteiligten sich bis zu 1.000 Personen, darunter auch Vertreter:innen der extremen Rechten und verschwörungsideologischen Bewegungen rund um Querdenken. Teile der technischen Infrastruktur sowie des Personals wurden vom lokalen Ableger „Querdenken911 Nürnberg“ gestellt. Zentrale ideologische Versatzstücke dieser Strömungen wurden in einzelnen Reden und auf mitgeführten Schildern transportiert. Ein großer Teil der Versammlungsteilnehmer:innen trug meist keine Maske, Abstände wurden nur selten eingehalten; stattdessen wurde sich umarmt und schunkelnd Lieder gesungen. Die eingesetzten Polizeikräfte schritten nicht ein.

Am Rande der Abschlusskundgebung war ein Transparent mit der Aufschrift „ungeimpft = unsolidarisch“ an einem Baum befestigt. Einige Demonstranten rissen dieses herunter, auch durch Abbrechen eines handgelenkdicken Astes; dutzende Versammlungsteilnehmer:innen johlten und applaudierten, die Stimmung heizte sich merklich auf. Der Einsatzleiter und mehrere Polizeikräfte in Einsatzmontur befanden sich in direkter Nähe. Trotz Aufforderung schritten sie nicht ein.

Nach dem offiziellen Ende der Versammlung formierten sich mehrere Demonstrationszüge von bis zu 100 Personen. Diese zogen nach Einbruch der Dunkelheit ohne Polizeibegleitung mit Fahnen, Schildern, Parolen und Megaphonen durch die Stadt, einige Teilnehmer traten dabei aggressiv gegenüber Passant:innen auf, die Mund-Nasen-Schutz trugen. Eine Stunde später, nachdem ein Demonstrationszug ein Universitätsgebäude in der Innenstadt betreten und mit Parolen sowie Aufklebern beklebt hatte, griffen Polizeikräfte ein. Laut Berichterstattung der Erlanger Nachrichten fanden in derselben Nacht in einem anderen Universitätsgebäude Sachbeschädigungen statt, bei denen ein inhaltlicher Zusammenhang mit dem Demonstrationsgeschehen naheliegt.

Im Nachgang zeigten sich Organisator:innen und Teilnehmer:innen begeistert von den „Freiheiten“ die sie an diesem Tag in Erlangen genießen durften und kündigten weitere Versammlungen in der Stadt an.

Foto: Ob Personal oder Material der „Studenten“: Querdenken 911 bzw. QD911 war überall dabei

Zur Aufhellung dieser Vorgänge fragen wir die Verwaltung:

  1. War der Ordnungsbehörde bekannt, dass die Versammlungsanzeige aus dem ideologischen Spektrum der Querdenkenbewegung stammte, deren zentraler Kitt laut einiger Expert:innen Antisemitismus ist?
  2. Aus welchen Gründen wurde die Auftaktkundgebung in die Lewin-Poeschke-Anlage und der Beginn der Demonstration in die Ebrardstraße verlegt? Welche Rolle spielte dabei, dass der antisemitische Doppelmord an Shlomo Lewin und Frieda Poeschke in der Ebrardstraße begangen wurde und der nahegelegene Gedenkort am Bürgermeistersteg so zur Bühne der Auftaktkundgebung dieser Bewegung wurde?
  3. Wurde in den Beschränkungen der Versammlung das Einhalten von 1,5 Meter Abstand und das Tragen von Mund-Nasen-Schutz vorgeschrieben?
  4. Wenn ja: Wie beurteilt die Stadt den Umstand, dass an diesem Tag nicht für ein Einhalten dieser Beschränkungen gesorgt wurde?
  5. Wie bewertet die Stadt das Abbrechen eines handgelenkdicken Astes von einem städtischen Baum? Wie beurteilt die Stadt den Umstand, dass dies unter den Augen einiger Einsatzkräfte und der Einsatzleitung der Polizei geschah?
  6. Wie beurteilt die Stadt den Umstand, dass mehrere Demonstrationszüge längere Zeit in der Dunkelheit ohne Polizei unkontrolliert in der Stadt umherziehen konnten?

Und schließlich

  1. Welche Schlussfolgerungen zieht die Stadt für eventuelle weitere Versammlungen aus diesem Spektrum, insbesondere in der Kommunikation mit der Polizei?


Dominik Sauerer (Sprecher für Strategien gegen rechte Aktivitäten und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit)
Marcus Bazant (Fraktionsvorsitzender)

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