Grünes Ziel für die nächsten sechs Jahre
»Eine sozial- und umweltgerechte Stadtpolitik auf breiter Basis ist ein wesentliches grünes Ziel für die nächsten sechs Jahre. Soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz schließen sich nicht aus. Vielmehr müssen soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz verwirklicht werden um Klimagerechtigkeit, und damit auch das Schließen der Schere zwischen Arm und Reich, zu erzielen. Das Wahlergebnis sehen wir als klaren Auftrag dafür an, dass progressive Maßnahmen bei Klimaschutz und Klimaanpassung in Angriff genommen werden müssen und zwar ab jetzt.«
Liebe Kolleg*innen,
das letzte Jahr 2019 war das Jahr der Klimakrise, das Jahr des Klimanotstandes. Weltweit und auch regional hier in Franken wurden die Folgen des Klimawandels sichtbar und überdeutlich. Denken wir an die Trockenheit und Hitze und an die dadurch bedingten Brände in Australien und Russland aber eben auch in Brandenburg. Der Klimawandel klopft an unsere Tür und bei unseren Kindern wird er schon hämmern, wenn wir die Wende, die große Transformation unseres Wirtschaftens, Handelns und Planens nicht schaffen. Dies dürfen wir nicht aus den Augen verlieren, insbesondere nicht jetzt, wo eine weitere Krise von ebenfalls globalem Ausmaß – die Corona-Krise – unser Leben in kaum vorstellbarer Weise verändert hat. Eine sozial- und umweltgerechte Stadtpolitik auf breiter Basis ist ein wesentliches grünes Ziel für die nächsten sechs Jahre. Soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz schließen sich nicht aus. Vielmehr müssen soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz verwirklicht werden um Klimagerechtigkeit, und damit auch das Schließen der Schere zwischen Arm und Reich, zu erzielen. Das Wahlergebnis sehen wir als klaren Auftrag dafür an, dass progressive Maßnahmen bei Klimaschutz und Klimaanpassung in Angriff genommen werden müssen und zwar ab jetzt! Dies zeigen nicht nur die Stimmen, die wir als zweitstärkste Kraft dieses Stadtrates erhalten haben, sondern auch die vielen Stimmen , die andere ökologisch und sozial ausgerichtete Parteien erzielen konnten. Wir brauchen ein gesellschaftliches Bewusstsein über die Dimension der Klimakrise, die der aktuellen Corona-Krise schon im Nacken sitzt. Daher ist es keine Option für unser Handeln, dass alles wieder so wird, wie es vor der Pandemie war. Die Stadt Erlangen hat fast genau vor einem Jahr, Ende Mai 2019 als erste Stadt Bayerns, den Klimanotstand ausgerufen. Die neue Kooperation zwischen CSU und SPD hat für Maßnahmen zum Klimaschutz einen finanziellen Rahmen von 100 Mio. € festgelegt. Diese Summe wurde aus den Vorverhandlungen mit uns „Grünen“ übernommen und wir werden genau darauf achten, dass dieses Geld zweckgebunden und stetig eingesetzt wird. Ebenso werden wir darauf achten, dass dies mit der zugesagten breiten Bürger*innenbeteiligung geschieht. Denn das Erreichen der Klimaziele ist nur als Gemeinschaftsanstrengung möglich.
Infolge der Corona-Krise stehen wir vor großen Aufgaben, von denen die Gesundheitsvorsorge und die kurzfristige ökonomische Krisenabwehr, durch Soforthilfe-Maßnahmen besonders dringlich sind. Darunter fallen z.B. direkte Zuwendungen an betroffene Gruppen, Kurzarbeitergeld, erleichterte Kreditvergaben oder Staatsbürgschaften. Hier können wir als Kommune in eher geringem Maße tätig werden, aber unseren Spielraum auf jeden Fall nutzen. Wichtig sind aber vor allem gut durchdachte Hilfen auf Bundes- und Landesebene.
Die längerfristigen öffentlichen Unterstützungen von Unternehmen oder Gruppen infolge der Corona-Krise müssen aber zwingend an nachhaltige Verbesserungen zum Klimaschutz und der Verringerung des CO2-Ausstoßes, geknüpft sein. Kaufprämien für umweltschädliche Produkte sind nicht der angemessene Weg, sondern vielmehr ein schädliches Strohfeuer ohne langfristig positive Effekte. Die negativen Folgen solcher Schnellschussmaßnahmen haben wir z.B. mit der „Abwrackprämie“ noch klar vor Augen. Es kann und darf nicht sein, dass Krisenpolitik von Lobbyisten gesteuert wird. Es kann und darf nicht sein, dass Unternehmen Staatshilfen erhalten und gleichzeitig Dividenden ausschütten oder das Steuerschlupflöcher für große internationale Unternehmen nicht gestopft werden. Es kann und darf nicht sein, dass Hilfsgelder ohne deutlichen Mehrwert für das Gemeinwohl ausgezahlt werden.
Die Corona-Krise legt den Finger auf die Wunde unseres Gesellschaftssystems, sie zeigt uns auf, wo große Ungerechtigkeiten und Missstände bestehen. So weisen gerade Landkreise mit großen Schlachtbetrieben hohe Infektionsraten auf und wir erkennen den Zusammenhang von Infektionsrate, schlechtbezahlten ausländische Arbeitnehmer*innen und dem Leben und Wohnen in Sammelunterkünften. Einen ähnlichen Zusammenhang finden wir auch bei den Erntehelfer*innen. Wir erkennen, welche Berufe wirklich systemrelevant sind, es sind die Pflege- und Gesundheitsberufe und nicht die Spitzenmanager von Investmentbanken. Alte Rollenbilder zu Stellung der Frau in Beruf und Familie flammen wieder auf. Wir erfahren von Lieferketten, von den wir nichts oder wenig wussten, wir nehmen Engpässe von Produkten wahr, die wir für unproblematisch hielten. Wir können in einem der hochentwickeltsten Länder der Welt unsere Mitarbeiter*innen in Krankenhäusern und Altenheimen nicht mit hochwertigen Schutzmasken ausstatten. Die Kommerzialisierung im Gesundheitswesen und in der Pflege zeigt nun ihr tragisches und unmenschliches Gesicht. Wenn Menschenansammlungen von mehr als 1000 Menschen, aus virologischer Sicht als äußerst gefährlich gelten, wie können dann Massentierhaltungsbetriebe von mehr als 1000 Tieren auf engstem Raum vertretbar sein. Dass hier schon die nächste Krise lauert, lässt sich daran erkennen, dass die sogenannten Reserveantibiotika der Humanmedizin heute bekanntermaßen in der Tierhaltung eingesetzt werden. In dieser Zeit stellen sich viele Fragen an uns und unser Gesellschaftssystem und es zeigt sich auch hier, dass aus dem Umdenken ein Handeln mit weitreichenden Reformen erfolgen muss. Gute Regelungen zu Homeoffice mehr Videokonferenzen und weniger Dienstreisen könnten zu weniger Pendlerverkehr führen. Dies ist zumindest eine Überlegung, die zur Zeit diskutiert wird und weitere müssen folgen. Für den erforderlichen Strukturwandel zu einer nachhaltigen Gestaltung unserer Wirtschaft und Gesellschaft sind alle Ideen aller Gruppen und aller Personen, sowie ihr voller Einsatz erforderlich. In Erlangen gehören dazu z.B. Siemens als großer Globalplayer, die FAU als renommierte Volluniversität, das Klinikum als Maximalversorger, die Sparkasse, die Autohäuser aber auch IHK und Handwerkskammer, der Einzelhandel, Vereine und gesellschaftliche Gruppen. Ebenso Rotary und Lions Clubs oder der geplante neue „Nachhaltigkeitsbeirat“. Wir hier in diesem Saal sind auf kommunaler Ebene am Ruder, wir sind gefragt, wir müssen mutig, kreativ und solidarisch handeln und dürfen uns nicht wegducken, wenn es unbequem wird. Die neue Stadtregierung hat einen neuen offenen und vertrauensvollen Umgang und Stil versprochen. Das weckt hohe Erwartungen für die nächsten sechs Jahre. Denn die nächsten sechs Jahre werden die entscheidenden sechs Jahre sein, hier in Erlangen und weltweit. In den nächsten Jahren schließt sich das Fenster, dass uns bleibt um den CO2-Ausstoß und weitere klimaschädliche Treibhausgase, so stark zurückzuführen, dass sich die globale Durchschnittstemperatur nicht um mehr als zwei Grad erhöht. Was sind schon zwei Grad? Das möchte ich an einem ganz einfachen Beispiel erläutern, nämlich an uns selbst, an der menschlichen Fieberkurve. Die mittlere Körpertemperatur beträgt zwischen 36 und 37 Grad. Mit 39 Grad haben wir schon hohes Fieber, aber unser Immunsystem arbeitet noch auf Hochtouren. Steigt unser Fieber jedoch um zwei Grad, auf mehr als 41 Grad, sinkt die Tätigkeit unseres Immunsystems stark ab, es beginnt die Denaturierung unserer Proteine und wir sind sterbenskrank. In einem solchen Fall hilft uns ggf. ein Antibiotikum. Für das Weltklima gibt es dann jedoch kein Antibiotikum. Heute ist das Weltfieber schon so hoch dass das Polareis irreversibel abschmilzt, der Meerwasserspiegel anstiegt, die Trockenheit zunimmt und massenhaftes Artensterben, wie z.B. die Korallenbleiche, stattfindet. Nun mögen Sie sich fragen, wieso ich so ausführlich werde. Ich tue dies, weil wir Grünen der Meinung sind und die Erkenntnis gewonnen haben, dass wir als Gesellschaft ohne Bewusstsein, ohne Erkenntnis und ohne Empathie, nicht ins Handeln kommen werden. Damit kommt der Bildung, auch bei der Krisenbewältigung, eine entscheidende Schlüsselrolle zu. Bildung und Bildungsgerechtigkeit stellen ein weiteres zentrales Thema unserer grünen Stadtratspolitik dar. Integration, Teilhabe und Inklusion sowie Chancengleichheit sind dabei für uns selbstverständlich und bleiben eine permanente wichtige Aufgabe, die immer wieder aufs Neue verteidigt werden muss. Auch aus der Geschichte können wir lernen. Daher unterstützen wir das überregional bedeutsame Projekt der „Gedenk-und Lernstätte“ für die in Erlangen begangenen Verbrechen der Euthanasie. Diese Stätte soll neben der Erinnerung und des Gedenkens auch die Mechanismen des Grauens erforschen und nachvollziehbar darlegen, so dass Lehren aus der Vergangenheit gezogen werden und Handlungsweisen für die Zukunft entwickelt werden. Wir als Stadt können die Corona-Krise nicht beenden, das Weltklima nicht retten, Kriege nicht beenden oder den Rassismus beseitigen. Aber wir können auf kommunaler Ebene den Weg einschlagen und gehen, den alle Städte gehen müssten, um das große Ziel zu erreichen. Dies sollte für eine Forschungs- und Universitätsstadt eine zu stemmende Aufgabe sein. Fangen wir bei uns an, wie gestalten wir unsere Festivals in diesen Krisenzeiten, müssen wir klimatisierte Zelte mieten oder nutzen wir unsere frisch sanierte Ladeshalle und finden Ideen, wie wir die Besucher*innen dorthin locken. Können wir an Silvester ein Feuerwerk oder eine Laserschau, für die gesamte Stadt ausführen, z.B. von der Spitze des Stadtwerke-Schlotes. Nehmen wir die City-Linie dieses Jahr dauerhaft in Betrieb und beschreiten damit einen Schritt zur Verkehrswende. Werden wir die Stadt, die die innerstädtischen Lieferdienste nur noch mit Lastenrädern durchführt.
Wir stehen 2020 vor großen Herausforderungen und Veränderungen, sie werden vielfältiger und gravierender sein, als wir uns das vorstellen möchten. Daher ist es notwendig, dass wir in der neuen Legislaturperiode handlungsfähig bleiben. Dass wir uns nicht durch Störfeuer beeindrucken lassen und bereit sind mutig neue Wege zu beschreiten. Erlangen unterstützt die Seenotrettung und ist bereit Flüchtende aufzunehmen. Diese Fähigkeit unserer Stadt zum sozialen Zusammenhalt, dem Eintreten für Schwächere und dem konsequenten Entgegentreten von Ausgrenzung und politischer Scharfmache wird auch eine wesentliche Voraussetzung zur Lösung der anstehenden Aufgaben sein. Dazu ist unsere Fraktion, mit ihren vielen neuen und engagierten Mitgliedern, bereit. Wir wünschen uns eine gute und gemeinsame Einarbeitungszeit und bedanken uns sehr herzlich bei unseren langjährigen und erfahrenen Stadtratskolleg*innen.
Ich bedanke mich bei Ihnen und hoffe auf eine gute, offene, konstruktive und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit allen demokratischen Kräften in diesem Stadtrat.