Genitalverstümmelung in Deutschland

Dr. Pierrette Herzberger-Fofana ist Stadträtin der Grünen Liste und Vorstandsmitglied von FORWARD-GERMANY e.V.  Anlässlich des Internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen hielt sie eine Rede vor dem deutschen Bundestag. Thema:  Genitalverstümmelung in Deutschland …

 

Rede vor dem Bundestag in Berlin am 25. 11. 2008

Der Aktionsplan zur Überwindung der Genitalverstümmelung in Deutschland

 

Sehr geehrte Abgeordnete, meine Damen und Herren,

ich bedanke mich ganz herzlich, dass Sie mich eingeladen haben an dieser Podiumsdiskussion teilzunehmen.
Seit 1984 kämpfen die afrikanischen Organisation dafür die schädliche Tradition der weiblichen Genitalverstümmelung (Female Genital Mutilation F.G.M./Mutilations Génitales Féminines F.G.M.) abzuschaffen.

Nach einem Vierteljahrhundert des Engagements gegen diesen gesundheitsgefährdenden Brauch sind die Ergebnisse hoffnungsversprechend und insoweit erfreulich als das überall – so das Inter-Afrikanische Komitee in seiner Vollversammlung Ende Oktober dieses Jahres in Kairo- ein spürbarer Rückgang des Brauches zu verzeichnen ist. Er ist aber nirgendwo in Afrika völlig verschwunden; auch nicht im Benin, wie aus verschiedenen Berichten zu entnehmen ist- laut der Präsidentin des inter-afrikanischen Komitees und dem Abgeordneten aus dem Benin in einem Interview, das sie mir alle beide am 29.10.2008 in Kairo gewährt haben. Die Prävalenz ist von 17% auf 13% zurückgegangen.

Die Teilnehmer aus 28 Ländern Afrikas und 18 europäischen Ländern haben in Ägypten die positiven Ergebnisse ihrer Arbeit aber auch die Rückschläge und Misserfolge, die sie erlitten, vorgestellt.
Die Organisation FORWARD-Germany nahm als langjähriger Partner als einziger Verband aus Deutschland teil.
Aber wie sieht es in Deutschland im Hinblick auf die weibliche Genitalverstümmelung aus? Auch hier gibt es Handlungsbedarf.
Zwar sind die Voraussetzungen im Vergleich zu anderen europäischen Ländern wie beispielsweise Frankreich anders geartet, jedoch existieren auch in Deutschland “starke communities“, die unter dieser Sitte leiden.

Das im letzten Jahrzehnt aufkeimende Interesse für die Genitalverstümmelung in Deutschland nahm für die Betroffenen merkwürdige Züge an und verschärft ihre Isolation.
Mädchen und Frauen, die hierzulande darunter litten wurden schlicht vergessen, während Kreuzzüge nach Afrika veranstaltet wurden.
Deshalb begrüße ich die Initiative des Zusammenschlusses, um die Kräfte zu bündeln, um diesen tradierten Brauch der weiblichen Beschneidung in Deutschland zu eliminieren.

Der nationale Aktionsplan weckt für uns Aktivistinnen, große Hoffnung, denn er berücksichtigt Migrantinnen, die hier leben und stellt uns vor die Frage:
„Was kann Deutschland tun, damit Mädchen und Frauen auf deutschen Boden ihre physische Integrität bewahren und sich frei entfalten können?“ „Wie können wir die schätzungsweise 4000 Mädchen, die hier aufwachsen vor dem Eingriff während des Heimaturlaubs schützen?

Es ist unser Anliegen, dass spezifische Gesetze in diesem Sinne verabschiedet werden, um der Gewalt gegen Mädchen und Frauen Einhalt zu gebieten und ggf. Eltern, die ihre Töchter nicht gegen den Eingriff verteidigen bzw. schützen, strafrechtlich sanktioniert werden, auch wenn der Eingriff im Ausland mit ihrer stillschweigenden Einwilligung, stattfindet.

Aber zuvor muss Aufklärungs- und Präventionsarbeit geleistet werden- dass die Genitalverstümmelung den Straftatbestand der Körperverletzung erfüllt – und nicht das Denunzieren im Vordergrund stehen oder drastische Maßnahmen wie die Trennung von Kindern und Eltern, ohne dass die Präventionsarbeit in den „afrikanischen communities“ stattgefunden hat.
Denn die Migrantinen müssen wissen, dass es ein Gesetz gibt, das auch hierzulande die Tat bestraft, wenn sie im Ausland mit Einverständnis der Eltern erfolgt.
Ich habe mich bereits 1992 dafür eingesetzt, dass Frauen, die von weiblicher Beschneidung oder sexuelle Misshandlung fliehen oder bedroht sind, Asyl gewährt werden sollte*.

Wir plädieren dafür, dass Beratungsstellen für betroffene Familien in allen großen Städten eröffnet werden, möglichst mit muttersprachlichen Mitarbeiterinnen, die die Frauen auffangen können. Dies würde auch die Erhebung von zuverlässigen Daten erleichtern. Denn ein Vertrauensverhältnis könnte leichter erreicht werden, da seitens der Betroffenen häufig eine Mauer des Schweigens vorherrscht. Wir plädieren auch dafür, dass die Problematik der Genitalverstümmelung (F.G.M/MGF.) in das Kurrikula des Medizinstudiums aufgenommen wird, mit einer Spezialisierung auf die Technik der Defibulation oder Restrukturierung des verletzten Genitalorgans. Denn die Mädchen und Frauen aus der Diaspora bzw. in Deutschland haben das Recht sich frei zu entfalten und unversehrt aufzuwachsen.
Wir müssen der Gewalt gegen Mädchen und Frauen, die eine schwerwiegende Verletzung der Menschenwürde darstellt, auch hierzulande ein Ende setzen.

Der Aktionsplan sieht vor ein Kompetenzzentrum zu errichten. Wir würden es deshalb sehr begrüßen, wenn die Thematik der Genitalverstümmelung in die Frauenforschung oder „Gender“ Eingang findet. Migrantinnen müssen auch in einer solchen Einrichtung an wissenschaftlichen Projekten arbeiten können und nicht nur als Informantinnen dienen, wie es oft der Fall ist.
Dies würde wesentlich dazu beitragen, dass zuverlässige Daten erhoben werden könnten und nicht nur Schätzungen.
Die bislang vorliegenden verschiedenen Zahlen spiegeln nicht unbedingt die Realität in Deutschland wider. Wir müssen auch die Zielgruppen identifizieren. Es ist sicherlich keine einfache Aufgabe, weil es voraussetzt, dass man einen guten Draht zu den verschiedenen „Communities“ hat.
Dieses Kompetenzzentrum wird auch die Möglichkeit haben die verschiedenen Studien zu evaluieren. Die bisher vorliegenden wissenschaftlichen Arbeiten beschränken sich häufig im Wesentlichen auf Volksgruppen aus dem Horn Afrikas oder Benin.
Die Situation in Deutschland unterscheidet sich schon deshalb von der in England oder Frankreich da in diesen Ländern –oft am Rande der Gesellschaft- starke Minderheitengruppen leben. Wir können daher zwar von den Erfahrungen der anderen europäischen Länder lernen, diese aber nicht blind nachahmen. Stattdessen müssen wir eigene Schablonen und unsere eigenen Strategien entwickeln, um fundierte Kenntnisse zu erlangen.
Wir streben jedoch auch eine Zusammenarbeit mit anderen europäischen Ländern, um interdisziplinäre Studien durchzuführen, an.
Unsere Zusammenarbeit erstreckt sich auf die verschiedenen wissenschaftlichen Institutionen in Afrika, die bereits lokale Erhebungen und Untersuchungen analysiert haben. Aus diesem fruchtbaren wissenschaftlichen Dialog können wir gemeinsam der Frauenforschung oder „gender“ neuen Antrieb geben.
Wir sind persönlich bereit unseren Beitrag dafür zu leisten und unsere Kompetenz und langjährige Erfahrung auf diesem Gebiet zur Verfügung zu stellen.

Wir, von FORWARD-Germany und AFARD/AAWORD* wünschen uns mit allen Organisationen und engagierten Menschen „Hand in Hand“ zu arbeiten.
Gemeinsam werden wir die weibliche Beschneidung in Deutschland abschaffen und die 28 betroffenen Länder Afrikas in ihren Bemühungen tatkräftig unterstützen.

Wir möchten, dass die betroffenen Schwestern weiter stolz auf ihre Kultur und Sitten sind und Ihre Würde behalten. Wir kämpfen nicht gegen die Tradition sondern für das Ende der schändlichen Gewaltakte gegen Mädchen und Frauen und wie Ahmadou Hampaté Bâ, ein gelehrter Weise aus Mali sagt:

„Man kann die Tradition, mit einem Baum vergleichen, dessen Zweige, die absterben, abgeschnitten werden müssen, um ihn zu erlauben sich ganz zu entfalten.“

Dr. Pierrette Herzberger-Fofana

 

Fußnoten

 

AFARD/AAWORD : « Association des Femmes Africaines pour la Recherche et le Développement »/ «Association of African Women for Research and Development ».
Die Autorin war von 1995-2003 Vorstandsmitglied und die Vertreterin für Europa.
Das ist der einzige panafrikanische Verband von Wissenschaftlerinnen. Er wurde 1976 in Lusaka (Sambia ) gegründet. Von den 53 Afrikanischen Ländern sind 40 Mitglieder dieses Verbandes.

*Herzberger-Fofana, Pierrette. Die Nacht des Baobab. Zur Situation der ausländischen Frau am Beispiel von Afrikanerinnen in Deutschland. Festvortrag zum internationalen Frauentag am 8. März 1992 – Sonderdruck. Hrsg. München: Veranstaltung der Landeshaupstadt Frauenbeauftragte Büro München am 9. 3. 1992.

Herzberger-Fofana, Pierrette « Moolade. Bann der Hoffnung» Film von Sembène Ousmane Ousmane. Ein plädoyer gegen die Excision. Rezension –

Herzberger-Fofana, Pierrette « Nein zur der weiblichen Beschneidung! » FORWARD-Germany und die Karawane der Jugendliche aus Mali“ http://www.alpha-2.info

Herzberger-Fofana, Pierrette. Nomadentochter. Autobiographie von Waris Dirie. Buchbesprechung www.afrikanet.info

Herzberger-Fofana Pierrette“Abandon des Mutilations Génitales Féminines:Le Comité Inter-Africain au Caire »  http://www.alpha-2.info, http://www.afrology.com

Herzberger-Fofana, Pierrette « L’Egypte ,berceau de la civilisation et des Mutilations Sexuelles féminines ».http://www.alpha-2.info/L-Egypte,-berceau-de-la-civilisation-et-les-Mutilations-Sexuelles-Feminines_a4544.html

Herzberger-Fofana, Pierrette. „Les mutilations Génitales Féminines (F.G.M) »Dossier. 25S. 10 Mai 1999 University Perth-Australien und http://www.afrology.com rubrique société
Ibid.. „Fleurs du désert de Waris Dirie“. Mots Pluriels, no.10, 1999
Ibid.. „Excision et émigration : la situation en Allemagne. Présence Africaine, no.160, 1999

Herzberger-Fofana, Pierrette. Littérature féminine francophone d’Afrique noire, suivi d’un Dictionnaire des romancières. Paris: Harmattan, 2000., 570p. „Grand Prix du Président de la république du Sénégal pour la Recherche Scientifique ». (Großer Staatspreis des senegalesischen Präsidenten für Forschung und Wissenschaft) Dakar 30.6. 2003.
Ibid. « Du rôle des matrones africaines dans les mutilations sexuelles féminines: La problématique de l’excision au Sénégal « in : Les matrones (Hrsg. Marie- Pascale Petitet) Paris 2009 (im Druck)

Pierrette Herzberger-Fofana. “Excision and African Literature: an activist’s annotated bibliographical excursion.” In Empathy and Rage. Female Genital Mutilation in Creative Writing.(eds ) Levin, Tobe and Augustine H. Asaah, Banbury, Oxfordshire: Ayebia Publishers, 2009.

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