Ablauf von BürgerInnenversammlungen

BürgerInnenversammlungen haben nur noch den „Charakter einer Massenaudienz“. Den Anregungen auf diesen Versammlungen soll wieder eine höhere Wertigkeit zugestanden werden …

Stadtratsantrag

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,

wir beantragen

1. Alle Anregungen von BürgerInnenversammlungen der aktuell laufenden Legislaturperiode werden zusammen mit der jeweiligen Antwort der Verwaltung beschlussmäßig in den Stadtrat eingebracht.
2. Die Anwesenden werden zu Beginn einer Versammlung umfassend und neutral über Ihre Rechte aufgeklärt, d.h. ausdrücklich auch auf die Möglichkeit, dass ihr Anliegen in einem politischen Gremium behandelt wird, unabhängig davon, wie die Antwort der Verwaltung ausfällt. In einem solchen Fall werden die AntragstellerInnen rechtzeitig zu der Sitzung des jeweiligen Gremiums eingeladen.
3. Die Sitzungsleitung wendet bei der Moderation der Versammlung Verfahren an, die auch zu einer Diskussion innerhalb der Versammlung anregen, um so eher ein Stimmungsbild der Bürgerschaft zu erhalten. In diesem Zusammenhang möchten wir darauf hinweisen, dass gemäß Art. 18, Absatz 3, Satz 3 GO „den Vorsitz in der Versammlung […] ein [vom ersten Bürgermeister] bestellter Vertreter“ führen könnte.

Begründung:

Wiederholt gibt Ihr Umgang mit Anregungen, die auf BürgerInnenversammlungen vorgebracht werden, Anlass zu Diskussionen, zuletzt auf der BürgerInnenversammlung Büchenbach am 29.3. und in der Stadtratssitzung am 31.3.2011. Auf besagter, aber auch auf vorangegangenen Versammlungen behaupteten Sie wiederholt, alle Anregungen zu behandeln wie Beschlüsse, auch wenn nicht darüber abgestimmt werden würde. So vermerkt das Protokoll für die BürgerInnenversammlung Gesamtstadt am 23.11.2010 für den ausdrücklichen Wunsch eines Bürgers nach Abstimmung Ihren – im konkreten Einzelfall erfolglosen – Abwehrversuch folgendermaßen: „OBM teilt mit, dass jeder heute vorgetragene Vorschlag in die Gremien eingebracht werde, egal, ob darüber abgestimmt werde oder nicht.“
In Artikel 18 „Mitberatungsrecht (Bürgerversammlung)“ der bayerischen Gemeindeordnung heißt es unmissverständlich in Absatz 4, Satz 1: „Empfehlungen der Bürgerversammlungen müssen innerhalb einer Frist von drei Monaten vom Gemeinderat behandelt werden.“ Unter der Prämisse, dass alle Anregungen auch ohne Abstimmung wie Beschlüsse behandelt werden, müssen die Anwesenden davon ausgehen können, dass sich der Stadtrat mit allen Anregungen in irgendeiner Form befasst.
Die Realität dagegen ist seit Ihrem Amtsantritt eine andere: die BürgerInnen bekommen nur eine Antwort der Verwaltung, die StadträtInnen erfahren von den Anregungen nur bei persönlicher Anwesenheit bei den Versammlungen oder aus dem Protokoll. Welche Antwort die Verwaltung jeweils gegeben hat, erfahren die von den BürgerInnen gewählten StadträtInnen dagegen nicht – sie müssen extra nachfragen oder werden von BürgerInnen darauf angesprochen. Möchte ein Mitglied des Stadtrats die Antwort der Verwaltung hinterfragen und zur Diskussion stellen (die Meinung des Stadtrates ist schließlich nicht gleichzusetzen mit der Meinung der Verwaltung), muss es einen Fraktionsantrag stellen, das Anliegen bekommt einen parteilichen Zungenschlag. Von einem „Mitberatungsrecht“ des Stadtrats durch die BürgerInnen kann bei diesem Vorgehen wohl nicht die Rede sein.

Welch geringe Bedeutung Sie diesem Mitberatungsrecht noch beimessen, zeigt Ihr Verhalten am 29.3. während der Erläuterung der Formalien zu Beginn der Versammlung. Sie wiesen auf die zur Behandlung einzuhaltenden Fristen hin, meinten, dass die Frist nicht genau genommen werden dürfe und berichteten dann sichtlich belustigt über einen Bürger, der sich nach Verstreichen der Frist nach einer vorangegangenen Versammlung mangels Reaktion auf sein Recht berufen wollte und deshalb an die Aufsichtsbehörde gewandt hatte. Wenn aber in der Gemeindeordnung von „drei Monaten“ die Rede ist, handelt es sich dabei um eine exakte Angabe und um keinen Rundungswert. Auch Ihre Behauptung, diese Frist würde durch die Schulferien ausgesetzt werden, wird durch stete Wiederholung nicht richtiger (bei der in Art. 18, Absatz 4, Satz 2 GO erwähnten „Ferienzeit“ handelt es sich nur um eine in der Geschäftsordnung zu regelnde Sommerpause, was der Erlanger Stadtrats aber gar nicht umgesetzt hat).
Interessant in diesem Zusammenhang ist Ihre Kreativität bei der Interpretation der Gemeindeordnung: so erklärten Sie am 29.3. dass es sich bei straßenverkehrsrechtlichen Maßnahmen (Straßenbeschildung) um den sogenannten „übertragenen Wirkungskreis“ handele, dieser nicht in der Zuständigkeit des Stadtrats läge und sich somit nur die Verwaltung mit entsprechenden Anregungen befassen dürfe. Korrekt ist diese Aussage bezogen auf den abschließenden Rechtsakt der „verkehrsrechtlichen Anordnung“, zahlreiche jeweils vorhergehende Beschlüsse z.B. zur Einrichtung von Tempo-30-Zonen zeigen aber sehr deutlich die Praxis. Unabhängig davon kennt die Gemeindeordnung in Artikel 18 nur „gemeindliche Angelegenheiten“, nicht aber den Terminus „übertragener Wirkungskreis“ – wenn es also der Wunsch der BürgerInnenversammlung ist, müsste sich der Stadtrat auch (entgegen Ihrer Behauptung) mit einzelnen Straßenschildern befassen.

Dies alles in Betracht ziehend müssen wir feststellen, dass BürgerInnenversammlungen nur noch den Charakter einer Massenaudienz haben. Es finden kaum noch Diskussionen zwischen den BürgerInnen statt, es bleibt unklar, ob hinter einer Anregung nur eine einzelne Person steht oder eine Mehrheit der Versammlung, eine Anregung dort hat die gleiche Wertigkeit wie ein Brief oder eine eMail an die Verwaltung. Wenn BürgerInnenversammlungen weiterhin ein Instrument sein sollen, sich mit dem Geschehen innerhalb der Stadt auseinanderzusetzen, die Stadt mitzugestalten und einen Kontakt zur Verwaltung, aber auch zur Politik zu haben, muss ein anderer Umgang gefunden werden. Versammlungen werden interessanter, wenn es zu Diskussionen kommen kann, wenn Anregungen angenommen und überdacht werden und nicht wenn es nur eine Veranstaltung ist, bei der die derzeitige Rathaussituation mit vielen Worthülsen erklärt wird.

Harald Bußmann

 

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