Fehler der Verkehrsunfallstatistik

Das Bild der Fahrradfahrer_innen in Erlangen wird auch von der alljährlichen Verkehrsunfallstatistik der Polizei beeinflusst. Diese Statistik führt zu Pressemeldungen wie:  „Radfahrer – das belegt die Unfallstatistik der Polizei – sind zu einem überproportional hohen Anteil Mitverursacher von Unfällen“. Diese Imageschädigung macht es umso notwendiger, dass diese Statistik hinterfragt wird: Sie enthält Fehler, Unklarheiten und Trugschlüsse. Um endlich einen Einstieg in eine objektive Betrachtung der Unfallzahlen zu erhalten, aussagekräftige Analysen treffen und zielführende Maßnahmen ableiten zu können, hält die Grüne Liste eine weitere Detaillierung der Unfallverteilung für notwendig …

Stadtratsantrag

Regelmäßig wird die Förderung des Radverkehrs als erklärtes Ziel der Stadt Erlangen propagiert. Um über die dafür notwendigen Maßnahmen wie einer zeitgemäßen Infrastruktur („Fahrradstation“, „Öffnung von Einbahnstraßen“) konstruktiv diskutieren zu können, ist vor allem eine positive Einstellung und gute Stimmung zu diesem Thema notwendig – bei allen Beteiligten. In den vergangenen Sommermonaten konnte man den Eindruck bekommen, dass es zumindest in der Öffentlichkeit nicht zum Besten um diese Stimmung bestellt zu sein scheint. Diverse Berichte der örtlichen Presse über das Verhalten eines Teils der FahrradfahrerInnen nebst Kommentare im Onlineangebot und folgender Leserbriefe gipfelten in einer (nicht-repräsentativen) Umfrage, nach der 68 % der Abstimmenden „die Erlanger Radler“ pauschal als „rücksichtslos“ einstufen würden.

Gleichsam als Bestätigung dieser Ansicht überschrieben die Erlanger Nachrichten am 14.9. einen Bericht über verstärkte Polizeikontrollen mit „Fehlverhalten von Pedalrittern ist Hauptunfallursache im Stadtgebiet“. Schon am 25.4. erschien ein Interview mit der Umweltreferentin Frau Wüstner, in dem diese mit folgender Aussage und anschließender Frage konfrontiert wurde: „Radfahrer – das belegt die Unfallstatistik der Polizei – sind zu einem überproportional hohen Anteil Mitverursacher von Unfällen. Sind die Radler hier in der Stadt zu wagemutig oder zu unvernünftig?“. Mit der folgenden Antwort zog Frau Wüstner die Aussage zur Statistik nicht grundsätzlich in Zweifel.
Es zeigt sich also, dass das Bild der FahrradfahrerInnen auch von der alljährlichen Verkehrsunfallstatistik der Polizei beeinflusst wird. Dies macht es umso notwendiger, dass diese Statistik über jeglichen Zweifel erhaben ist. Zu den Unfallzahlen für die RadfahrerInnen in der Verkehrsunfallstatistik 2011 (Seite 9, siehe z.B. die Unterlagen des UVPA vom 22.5.) muss aber auf folgende Fehler, Unklarheiten und Trugschlüsse hingewiesen werden:

  • Es werden einerseits 334 „Unfälle mit Radfahrerbeteiligung“ genannt, andererseits steht dann zu lesen, dass 334 RadfahrerInnen an diesen Unfällen beteiligt gewesen wären. Dies würde bedeuten, dass an jedem Unfall genau einE RadfahrerIn beteiligt war, es also keinen einzigen Unfall mit zwei oder mehr beteiligten RadfahrerInnen gegeben hätte. Dies erscheint doch sehr zweifelhaft. Wir vermuten eher, dass die/der AutorIn die beiden Begriffe verwechselt hat, was gleich zu Beginn einen Schatten auf die Glaubwürdigkeit dieses Berichts wirft.
  • Es werden 240 RadfahrerInnen als (Mit-)VerursacherIn geführt, diese Zahl dann ins Verhältnis aller beteiligten RadfahrerInnen gesetzt und eine Prozentzahl (71,85 %) gebildet. In diesem Kontext entsteht der Eindruck, dass nur weniger als ein Drittel aller Unfälle durch einE Nicht-RadfahrerIn verursacht wird (100 % – 71,85 % = 28,15 %). Wie ja aber schon die Ergänzung „bzw. Mitverursacher“ deutlich macht, kann es bei einem Unfall mehrere VerursacherInnen geben, also auch gleichzeitig einE RadfahrerIn und einE Nicht-RadfahrerIn. Ermittelt man die Unfälle mit Radfahrerbeteiligung, bei denen einE FußgängerIn oder einE KFZ-FahrerIn als (Mit-)VerursacherIn geführt werden, würden sich hier aufgrund dieser Überschneidungen Prozentzahlen ergeben, die addiert weit mehr als 100 % ergeben. Kurz und bündig: die Angabe einer einzelnen Prozentzahl hat hier keinerlei Aussagekraft, weil hier ein klassischer Trugschluss vorliegt.
  • Die in der Statistik geführten Unfallursachen geben jeweils die Einschätzung der Polizei bei der Unfallaufnahme wieder, z.B. aufgrund der Aussagen der Beteiligten. Diese kann sich aber unterscheiden von der Einschätzung eines Gutachters oder eines Richters in einem sich anschließenden Prozess. So stellt sich im Nachhinein regelmäßig heraus, dass das Verhalten einer/eines Unfallbeteiligten doch keinen Fehler darstellte oder aber, dass ein Fehlverhalten vor einem Unfall keine Unfallursache war. Die genannten Zahlen besitzen also keine Allgemeingültigkeit.

Diese Punkte bestätigen die Binsenweisheit, dass bei der Interpretationen der blanken Zahlen einer Statistik viele Fehler unterlaufen können. Und sie könnte auch eine Erklärung sein, warum die Erlanger Zahlen im Widerspruch zu stehen scheinen zu bundesweiten Zahlen: unter Verkehrsexperten kursiert die Faustformel, dass bei zwei Dritteln aller Unfälle der stärkere Verkehrsteilnehmer die Hauptschuld trägt. In der (in Erlangen wohl besonders häufigen Konstellation) Auto/Fahrrad müsste also die/der AutofahrerIn bei der Mehrzahl der Unfälle die Hauptschuld tragen. Dass die Erlanger Statistik ein anderes Bild wiedergibt, soll also nur an den Erlanger RadfahrerInnen liegen?

Im Juli 2009 besuchte eine Erlanger Delegation aus Verwaltung, Politik und Bürgerschaft die deutsche Fahrradhochburg Münster und erfuhr unter anderem, dass auch dort die Statistik der Polizei lange Jahre den Eindruck vermittelte, die RadfahrerInnen würden überproportional viele Unfälle verursachen. Nachdem die Statistik wissenschaftlich durchleuchtet und z.B. auch nachfolgende Urteile betrachtet wurden, zeigte sich, dass die Münsteraner RadfahrerInnen weitaus geringer schuld tragen am Unfallgeschehen, als bis dahin unterstellt. Frau Wüstner als damalige Delegationsleiterin schien von diesen Ergebnissen beeindruckt und kündigte an, die Erlanger Zahlen ebenso durchleuchten zu wollen.

Die Grüne Liste kritisiert schon seit Jahren die offensichtlichen Fehler der Verkehrsunfallstatistik und mahnt bei der alljährlichen Bekanntgabe der Statistik eine Überprüfung der Zahlen an, verstärkt seit dem Besuch in Münster. Geschehen ist in dieser Richtung leider gar nichts.

Um endlich einen Einstieg in eine objektive Betrachtung der Unfallzahlen zu erhalten, aussagekräftige Analysen treffen und zielführende Maßnahmen ableiten zu können, halten wir eine weitere Detaillierung der Unfallverteilung für notwendig.

Wir beantragen daher die Beantwortung folgenden Fragenkatalogs:

  • 1. Wie viele Alleinunfälle von Radfahrern gab es im Jahr 2011?
  • 2. Wie viele Unfälle mit alleiniger Radfahrerbeteiligung gab es im Jahr 2011? (ohne o.g. Alleinunfälle)
    • 2.1. Wie oft wurden hier zwei oder mehr Radfahrer als (Mit-)Verursacher des Unfalls geführt?
  • 3. Wie viele Unfälle zwischen Radfahrern und Fußgängern gab es im Jahr 2011?
    • 3.1. Wie oft wurden hier der/ein Radfahrer als alleiniger Verursacher des Unfalls geführt?
    • 3.2. Wie oft wurden hier die/der/einE FußgängerIn als alleiniger Verursacher des Unfalls geführt?
    • 3.3. Wie oft wurden hier sowohl Radfahrer als auch Fußgänger als (Mit-)Verursacher des Unfalls geführt?
  • 4. Wie viele Unfälle zwischen Radfahrern und PKW-Fahrern gab es im Jahr 2011?
    • 4.1. Wie oft wurden hier der/ein Radfahrer als alleiniger Verursacher des Unfalls geführt?
    • 4.2. Wie oft wurden hier der/ein PKW-Fahrer als alleiniger Verursacher des Unfalls geführt?
    • 4.3. Wie oft wurden hier sowohl Radfahrer als auch PKW-Fahrern als (Mit-)Verursacher des Unfalls geführt?
  • 5. Wie viele Unfälle zwischen Radfahrern und LKW-Fahrern gab es im Jahr 2011?
    • 5.1. Wie oft wurden hier der/ein Radfahrer als alleiniger Verursacher des Unfalls geführt?
    • 5.2. Wie oft wurden hier der/ein LKW-Fahrern als alleiniger Verursacher des Unfalls geführt?
    • 5.3. Wie oft wurden hier sowohl Radfahrer als auch LKW-Fahrern als (Mit-)Verursacher des Unfalls geführt?
  • 6. Wie viele Unfälle zwischen Radfahrern und sonstigen Verkehrsteilnehmern gab es im Jahr 2011?
    • 6.1. Wie oft wurden hier der/ein Radfahrer als alleiniger Verursacher des Unfalls geführt?
    • 6.2. Wie oft wurden hier der/ein sonstigen Verkehrsteilnehmern als alleiniger Verursacher des Unfalls geführt?
    • 6.3. Wie oft wurden hier sowohl Radfahrer als auch der/ein sonstigen Verkehrsteilnehmern als (Mit-)Verursacher des Unfall geführt?
  • 7. In der Präventionsarbeit der PI Erlangen-Stadt werden immer wieder Kontrollaktionen zur Fahrradbeleuchtung benannt. In der Statistik für das Jahr 2011 wird für sieben Unfälle als (Mit-)Unfallursache „ohne Beleuchtung gefahren“ genannt. Dies entspricht einem Anteil von 2,92 % aller Unfälle mit Radfahrerbeteiligung. Hier wäre eine kurze Detaillierung aller sieben Unfälle bei der Beurteilung hilfreich. Insbesondere wären folgende Zahlen wichtig:
    • 7.1. An wie vielen dieser sieben Unfälle lag eine weitere persönliche Ursache mit vor? Und welche waren das?
    • 7.2. Wie viele dieser sieben Unfälle waren Alleinunfälle?
    • 7.3. Wie oft wurde ein anderer Verkehrsteilnehmer als Hauptverursacher geführt
    • 7.4. Wie oft wurde ein anderer Verkehrsteilnehmer als Mitverursacher geführt?
  • 8. In der Statistik für das Jahr 2011 wird mit 27,92 % als Hauptunfallursache „Radweg in falscher Richtung benutzt und Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot“ genannt. Um hier geeignete Maßnahmen abzuleiten, ist eine genauere Betrachtung folgender Fragen nötig:
    • 8.1. Wie viele dieser 67 Unfälle wurden von Radfahrern verursacht, die in falscher Richtung auf dem Radweg unterwegs waren?
      • 8.1.1. Wie oft war hierbei ein Radfahrer, der in richtiger Richtung fuhr, beteiligt?
      • 8.1.2. Wie oft war hierbei ein KFZ-Führer beteiligt?
      • 8.1.3. Wie oft war hierbei einE FußgängerIn beteiligt?
    • 8.2. Wie viele dieser 67 Unfälle wurden von Radfahrern verursacht, die gegen das Rechtsfahrgebot verstoßen haben?
      • 8.2.1. Wie oft war hierbei ein anderer Radfahrer beteiligt?
      • 8.2.2. Wie oft war hierbei ein KFZ-Führer beteiligt?
      • 8.2.3. Wie oft war hierbei einE FußgängerIn beteiligt?
  • 9. Um die Fragen nach den Einfluss der Bergkirchweih und des Semesterbeginns beantworten zu können, halten wir folgende Auflistungen für nötig:
    • 9.1. Monatliche Verteilung der Unfälle mit Fahrradbeteiligung für das Jahr 2010 und 2011.
    • 9.2. Anzahl der Fahrradunfälle, bei denen der Lenker unter Alkoholeinfluss stand, während der Bergkirchweihen 2010 und 2011 jeweils im Vergleich zum restlichen Jahr.

Harald Bußmann

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