19.12.1980: Mord an Shlomo Lewin und Frida Poeschke in Erlangen

Shlomo Lewin und Frida Poeschke werden am 19. Dezember 1980 in ihrer Erlanger Wohnung ermordet. In Verdacht gerät die rechtsterroristische „Wehrsportgruppe Hoffmann“. Knapp drei Monate vorher starben durch eine Bombenexplosion 13 Menschen am Münchner Oktoberfest, 211 wurden verletzt. Der Bombenleger kam auch aus den Reihen der in der Nähe von Erlangen aktiven Wehrsportgruppe.

Schloss Ermreuth im November 2015

Die Wehrsportgruppe Hoffmann – „Vereinigung der Einzeltäter“

Vorsitzender: “Wann wollen Sie über die Erlanger Sache sprechen?“
Hoffmann: “Zunächst möchte ich mich allgemein zur Judenfrage äußern.“(1)

Eine Brille und Patronenhülsen bleiben am Tatort des Doppelmordes zurück. Shlomo Lewin, jüdischer Verleger und ehemaliger Vorsitzender der israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg, und seine Lebensgefährtin Frida Poeschke werden am 19. Dezember 1980 in ihrer Erlanger Wohnung erschossen. Aufgrund einer Eingravierung lässt sich die Brille leicht zuordnen. Sie gehört Franziska Birkmann, Freundin von Karl-Heinz Hoffmann, laut Selbstbezeichnung „deutscher Patriot“ und Anführer der rechtsextremistischen Wehrsportgruppe. Lewin hatte öffentlich vor der deutschen Neonaziszene und der Gefährlichkeit Hoffmanns gewarnt.

1968 veranstaltete der Patriot sein erstes öffentlich bekannt gewordenes Spektakel. Zu Fasching tummelten sich in einem Nürnberger Café Männer in SS-Uniformen und Frauen in BDM-Kleidern vor einer Tonband-Geräuschkulisse aus Granatengeheul und MG-Geknatter. 1973 begann Hoffmann mit dem Aufbau seiner Wehrsportgruppe (WSG). Bis zu ihrem Verbot durch das Bundesinnenministerium am 30.1.1980 rückten der „Chef“ und seine Truppe in Uniform mit Totenkopf, Stahlhelm, zugelöteten Maschinengewehren und Militärfahrzeugen zu wöchentlichen Manöverübungen im freien Gelände aus. Um die 500 Männer und auch einige Frauen sollen der „konspirativ“ agierenden WSG angehört haben. In Hoffmanns „Stützpunkten“, Schloss Almoshof bei Nürnberg, ab 1978 das Schloss Ermreuth bei Erlangen und auf seinem Privatgrundstück in Heroldsberg sammelte sich allerlei Kriegsgerät einschließlich eines Panzerspähwagens an.
Mit der Bevölkerung habe es eigentlich nie Schwierigkeiten gegeben, betonte Hoffmann in einem(2) seiner vielen Interviews. So wie ein Ermreuther Bürger sahen es viele Leute: „Er ist immer freundlich. Außerdem tut er wenigstens was für die Jugend. Da find ich das schon gut, wenn der Hoffmann die von der Straße wegholt und was Vernünftiges tun lässt“.(3)

Söldnertruppe im internationalen Einsatz

Nachdem die Schützlinge eine solide Ausbildung durchlaufen hatten, bauten sie im Bundesgebiet WSG-Ableger auf, den „Sturm 7“ in Hessen, die „Sturmabteilung Bonn“ usw. Der Chef unterhielt enge Kontakte zu Neonazis im In- und Ausland, reiste nach Zimbabwe (damals Rhodesien) und bot seine Söldner dem rassistischen Smith-Regime im Kampf gegen die nationale Befreiungsfront an. Bei Veranstaltungen der DVU dienten Hoffmanns Leute als Saalschutz, verprügelten gemeinsam mit dem rechtsextremen „Hochschulring Tübinger Studenten“ (HTS) oder mit der Wiking-Jugend antifaschistische GegendemonstrantInnen. Ein WSG-Mann tauchte bereits in der Kanalisation von Berlin, um die Befreiung des Hitler-Stellvertreters Heß vorzubereiten. Entsprechende Pläne fanden sich in einer in Schloss Ermreuth eingemauerten Blechdose.

Anfang der 80er Jahre, als der Terror von rechts neue Dimensionen annahm (4), bombten sich „Einzeltäter“ aus Hoffmanns Truppe in die Annalen der Geschichtsschreibung.
Der Bekannteste ist Gundolf Köhler. Mit einem Sprengsatz tötete er am 26.9.1980 zwölf BesucherInnen des Münchner Oktoberfestes und sich selbst, 210 wurden verletzt. Trotz aller Widersprüche schlussfolgerte die Justiz: Der Tübinger Student aus dem Umfeld des HTS und Hoffmanns WSG sei Alleintäter gewesen.
Ein Freund des Attentäters gab beim Bundesanwalt zu Protokoll: „Wenn einmal etwas los geht“, habe Köhler gesagt, „könnte man es den Linken in die Schuhe schieben“. Das versuchte auch der damalige bayerische Ministerpräsident. Unmittelbar nach der Explosion standen für Strauß die Verantwortlichen fest: die Linke, der Geheimdienst der DDR und sogar der KGB. Die Bundestagswahl stand eine Woche bevor, Strauß war Kanzlerkandidat der Union.
Nach und nach behaupteten auch andere WSG-Soldaten, in München dabei gewesen zu sein. Als Mittäter outete sich Stefan Wagner, bevor er sich eine Ladung Schrot in den Kopf jagte. Ein anderer WSG-Kumpan schwärmte im Nahen Osten von seiner Beteiligung in München. Nach dem Verbot in der BRD kämpfte die „WSG-Ausland“ im Libanon, zuerst mit den falangistischen Milizen und fand dann Unterschlupf bei der gegnerischen Seite im PLO-Lager Bir Hassan. Dort folterten Hoffmann und seine Truppe abtrünnige Kameraden. WSG-Mitglied Kai Uwe Bergmann überlebte die Torturen nicht.
Am 16.6.1981 wurde der Wehrsportchef verhaftet und gegen seine Auslandsabteilung wegen „Bildung einer terroristischen Vereinigung“(§ 129a) ermittelt. Ein halbes Jahr später entschied der Bundesgerichtshof, dass die WSG-Ausland nicht unter § 129a fallen würde.

Manche Hand geschüttelt

Hoffmann wurden viele  prominenten und praktischen Bekanntschaften nachgesagt. Es wurde als ein offenes Geheimnis gehandelt, dass einflussreiche Persönlichkeiten ihm den Rücken freihielten und ihn unterstützten. Namhafte Persönlichkeiten wie der Nürnberger Rüstungsfabrikant Diehl, seit 1997 Ehrenbürger der Stadt Nürnberg, sollen zum Unterstützerkreis der Hoffmanntruppe gehört haben. Entsprechende Andeutungen machte Freiherr Gilbert von Sohlern, Schlossherr in Gößweinstein und Gönner Hoffmanns, gegenüber als Geldkuriere getarnten Journalisten.(5)
Von der bayerischen Staatspartei CSU hatten die Wehrsportler nichts zu befürchten. Innenminister Tandler: „Wehrsport ist schließlich nicht strafbar“. Nach dem Verbot der WSG sagte Franz Josef Strauß gegenüber einem französischen Journalisten: „Wenn niemand von diesem Verrückten spräche, man würde seine Existenz nicht bemerken. (…) Hoffman hat sich nichts zu Schulden kommen lassen“(6).
Die deutschen Geheimdienste hatten Hoffmanns Gruppe infiltriert und ließen sie an der langen Leine. Zur „WSG-Ausland“ gehörte Agent Odfried Hepp.(7) Verfassungsschutz-Spitzel Weinmann, der in fast allen rechtsextremistischen Gruppen zuhause war und Jugendliche für Wehrsportübungen rekrutierte, „hätte mit seinem Informationsstand und Wissen die Wehrsportgruppe Hoffmann schon 1976 hochgehen lassen können“ (8).

Stundenlange Monologe vor Gericht

Erst fünf Wochen nach dem Erlanger Doppelmord wurde Franziska Birkmann von der Polizei befragt. Die Polizei ermittelte indes in alle Richtungen und suchte die Täter ausgerechnet auch im Kreis der israelitischen Gemeinde.
Im Januar 1983 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen Hoffmann wegen gemeinschaftlich begangenen Mordes. Nachdem die Anklagebegründung monatelang geprüft worden war, lehnte die zuständige 5. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg/Fürth die Eröffnung des Hauptverfahrens ab. Aus den vorliegenden Ermittlungsakten würde sich kein hinreichender Tatverdacht ergeben, die Indizienkette sei lückenhaft und widersprüchlich.
Zur fraglichen Zeit waren die Behörden rundum beschäftigt mit Nachforschungen gegen HausbesetzerInnen und KOMM-Aktivitäten.
Nachdem ein Revisionsantrag der Staatsanwaltschaft Erfolg hatte, begann die Hauptverhandlung schließlich im September 1984 vor der 3. Strafkammer. Den sonst für Rauschgiftdelikte zuständigen Richtern lag dieselbe Anklageschrift vor, nur um einige Punkte erweitert, welche hauptsächlich Hoffmanns Folterungen im Libanon betreffen.

Wer an Prozesse wie in Stammheim gewohnt war, rieb sich verwundert die Augen. Die entgegenkommende Verhandlungsführung des Vorsitzenden Richters Koob gab dem Angeklagten ausführlich Gelegenheit zur Selbstdarstellung. Auf einem extra aufgebauten Redepult konnte Hoffman vor Gericht stundenlange Stellungnahmen zur Anklage und über seine Gesinnung abgeben.
Oberstaatsanwalt Horn, durch den „Stern“ bundesweit als „Aktenzauberer“ im KOMM-Verfahren bekannt geworden, schienen die Ausführungen Hoffmanns und die Attacken seiner Anwälte zu überfordern. Er hatte der Verteidigung nichts entgegenzusetzen. „Alle Prozessbeteiligten stehen im Bann des Angeklagten, Zeugen werden beeinflusst, die Gedächtnisschwäche grassiert“(9), bemerkten ProzessbeobachterInnen.
Viele Umstände im Zusammenhang mit dem Doppelmord blieben ungeklärt. Manche Fragen wurden nicht gestellt, beispielsweise zum Munitionsverlust bei der Polizeiinspektion Ansbach. Zwischen dem 8. und 10. Juli 1980 verschwanden dort 97 Schuss der gleichen Maschinengewehrmunition, mit der Lewin und Poeschke ermordet wurden. Ein anonymer Anrufer behauptete, die Munition sei über Mittelsmänner an die WSG-Angehörigen Klinger und Fraß gelangt. Der Leiter der Inspektion, Maluck, bemerkte den Fehlbestand und erhielt von seinem Vorgesetzten die Anweisung eine unverfängliche Verlustmeldung zu schreiben. Maluck machte Bedenken gegen dieses Vorgehen geltend und wurde schließlich versetzt.
Ob die Mordmunition aus dem Polizeibestand stammt, ist nie untersucht worden. Während des Prozesse wurde zwar das Protokoll des anonymen Anrufs verlesen, jedoch Fraß und Klinger zu diesem Komplex nicht befragt und Maluck nicht als Zeuge zugelassen.

Die Leiche im Libanon

Mehrere Zeugen der Anklage stammten aus Hoffmanns eigenen Reihen. Uwe Mainka, der später wegen Folterung seines Kameraden Bergmann zu 19 Monaten auf Bewährung verurteilt wurde, behauptete bis zum Schluss, dass sein Chef der Auftraggeber der Morde gewesen sei. Dagegen fielen andere Belastungszeugen der Reihe nach um oder verwickelten sich in Widersprüche.

Nach 186 Verhandlungstagen wurde Karl-Heinz Hoffmann schließlich wegen Körperverletzung an seinen Gefolgsleuten im Libanon, Geldfaelschung, Strafvereitelung und Verstößen gegen das Waffengesetz zu neuneinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Vom Vorwurf, den Doppelmord geplant und in Auftrag gegeben zu haben, sprach ihn das Gericht frei. Als mutmaßlicher Täter von Erlangen blieb „WSG-Vize“ Uwe Behrendt übrig. Der einzige Zeuge dafür war Hoffmann selbst. „Chef, ich habe es auch für dich getan“, soll Behrendt ihm nach den Morden gesagt haben. Wieder ein toter Einzeltäter, drei Wochen vor Prozessbeginn identifizierten LKA-Beamte im Libanon seine Leiche. Er soll Selbstmord begangen haben.

Im November 1987 zog die Staatsanwaltschaft ihre Revision gegen den Freispruch endgültig zurück. Nach so langer Zeit seit dem Verbrechen sei es aussichtslos, gegen das Urteil vorzugehen.

„Glaubhaft“ von Vergangenheit losgesagt

Zwei Jahre später war Hoffmann wieder auf freiem Fuß, das restliche Drittel seiner Haftzeit wurde ihm erlassen. Die Justizvollzugsanstalt Bayreuth bescheinigte dem WSG-Chef eine „beanstandungsfreie Führung“(10). Zudem habe er sich in einer Anhörung „glaubhaft“ von seiner Vergangenheit losgesagt.

Inzwischen äußert sich Hoffmann wieder ausführlich auf seiner Webseite und tourt mit Vorträgen durch die alte und neue rechte Szene. Am 4. Juli 2015 fand in Erlangen das neurechte Vernetzungstreffen „Zwischentag“ statt. Rechte Verlage, Organisationen und Szeneprominenz trafen sich in den Räumen der Burschenschaft Frankonia. Darunter befand sich auch ein altbekannter Gast: Karl-Heinz Hoffmann.

Wolfgang Most

Zu den späteren Aktivitäten von Karl-Heinz-Hoffmann siehe auch:
Rechte Glücksritter in Ostdeutschland

Anmerkungen


(1) (3) zit. n. PLÄRRER 10/84
(2) DER SPIEGEL Nr. 48/1980
(4) 2. August 1980, Bologna, Bahnhof. Eine Bombe tötet 85 Menschen und verletzt 200. 1995 werden Urteile gefällt. Zwei Mitglieder der „Nuclei armati rivoluzionari“ (Bewaffnete Revolutionäre Kerne) werden zu lebenslanger Haft verurteilt, die mutmaßlichen Auftraggeber, P-2-Großmeister Licio Gelli und sein Helfershelfer, der CIA-Agent Francesco Pazienza, zu jeweils 10 Jahren.
Nicht verurteilt wurde Stefano Delle Chiesa, der den Anschlag organisiert und den Sprengstoff besorgt haben soll. Er versuchte den Verdacht auf die „Wehrsportgruppe Hoffmann“ zu lenken. Tatsächlich war Karl-Heinz Hoffmann mit Delle Chiesa zusammengetroffen. Mitglieder seiner Gruppe landeten drei Tage vor dem Anschlag in Rimini. (nach ZOOM – Zeitschrift für Politik und Kultur Wien 4+5/96)
(5) DIE NEUE 14.2.80, 30.9.80
(6) zit. n. PDI-Sonderheft13)
(7) 1983 wurden Hepp und Kexel, Mitglieder der WSG und der 1982 verbotenen „Volkssozialistischen Bewegung“ wegen Sprengstoffanschlägen auf US-Soldaten und Banküberfällen verhaftet. Kexel wurde 1985 nach Verurteilung zu 14 Jahren Haft erhängt in seiner Zelle aufgefunden. Hepp behauptete damals, Kexel sei vom BND ermordet worden, da er zuviel über die Infiltration der rechten Szene, insbesondere der WSG Hoffmann, durch den Dienst gewusst habe. Hepp arbeitete für den westdeutschen Geheimdienst und die Stasi, gehörte zur „WSG-Ausland“ und belastete nach seiner Flucht aus dem Libanon Hoffmann, für das Münchner Attentat und den Erlanger Doppelmord verantwortlich zu sein. Bekannt ist auch, dass das Bundeskriminalamt Fluchthilfe für Hepp u.a. leistete.
Hoffmann verschob Waffen in den Nahen Osten. In der „tageszeitung“ vom 27. 4 1983 schildert ein ehemaliges Mitglied von Hoffmanns WSG Kontakte mit einem Agenten des Bundesnachrichtendienstes, in denen es um Lieferungen von Heeresfahrzeugen in den Libanon und nach Syrien ging. Die Bezugsquelle soll (nach ZOOM) VEBEG, eine im Bundesbesitz befindliche Rüstungsschrottfirma gewesen sein.
(8) Jürgen Grewen im Rechten Rand Nr. 22
(9) zit. n. Der Hoffmann-Prozess, Broschüre, Hg. Bürgerinitiative 5. März, Nürnberg, Mitte 1980
(10) DIE TAGESZEITUNG 21.7.89

 

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