Massenverhaftungen

In Saalfeld (Thüringen) meldete die Landesarbeitsgemeinschaft Antifaschismus/Antirassismus eine bundesweite Demonstration „gegen rechte Gewalt“ für den 11. Oktober 1997 an, die jedoch kurzfristig verboten wurde. Die Region Saalfeld-Rudolstadt befand sich an diesem Wochenende im Belagerungszustand: ca. 7000 PolizistInnen aus Thüringen, Hessen, Niedersachsen und Bayern setzten das Demonstrationsverbot mit einer groß angelegten Bürgerkriegsübung durch.

In diesem Zusammenhang wurden auf der Autobahn A 9 sieben Reisebusse – zwei davon aus Nürnberg, Erlangen und Fürth – die auf dem Weg zu einer legalen antifaschistischen Ersatzveranstaltung in Erfurt waren, durch eine Polizeisperre angehalten. Nachdem die A 9 infolgedessen stundenlang blockiert war, nahmen u.a. per Hubschrauber eingeflogene Beamte der bayerischen Sondereinheit „Unterstützungskommando“ (USK) die über 300 aufgehaltenen DemonstrantInnen fest und verbrachten sie in eine stillgelegte Justizvollzugsanstalt bei Saalfeld. Die Festgenommenen waren während ihres 30stündigen „Gewahrsams“ permanenten Demütigungen ausgesetzt, verbal und nicht selten in Form von körperlicher Gewalt. Bereits bei der Festnahme sorgte nach Aussagen Betroffener besonders das USK für Stimmung mit Sprüchen wie: „Warum ward ihr denn so friedlich, hat ja gar keinen Spaß gemacht“ oder untereinander hörbar flüsternd, wie spaßig es wäre, einer neben ihnen sitzenden Person den Arm zu brechen. Weitere Zoten steuerten ihren Kollegen aus anderen Bundesländern während der Gefangenenschaft bei. Das Anschalten der Lüftung in einem Gefangenenbus soll durch einen Beamten mit „jetzt drehe ich mal das Gas auf“ kommentiert worden sein und Frauen berichten von Äußerungen von Polizisten wie: „Die Häßlichen vergewaltigen“ (beim Gang auf die Toilette).

In der Gefangenensammelstelle bei Saalfeld wurden in eine ungeheizten Zelle ohne Wasser ca. 60 Menschen zusammengepfercht, die meisten gefesselt. Einzelne Gefangene wurden exemplarisch herausgegriffen und öffentlich mißhandelt. Der Gang zur stinkenden, überquellenden Chemietoilette im Hof wurde oft verweigert. Nach zehn Stunden erhielten die Gefangenen ihren ersten und nahezu einzigen Becher zu Trinken, Essen gab es kaum. Kurz vor der Freilassung versetzten Beamte selber einzelne Zellen noch zusätzlich in Unordnung, um daraufhin „Beweisfotos“ für Beschädigungen durch die Insassen zu erstellen. Allen Festgenommenen wurde verweigert, einen Anwalt anzurufen.

Wir protestieren gegen diesen willkürlichen Polizeieinsatz und sind besorgt darüber, wie wenig öffentliche Kritik sich dagegen regt. Mit dem Hinweis auf konstruierte Bedrohungsszenarios (im Falle von Saalfeld beschwor der thüringische Innenminister Dewes die Gefahr von „Chaoten, die nach Saalfeld strömen“) werden Grundrechte wie die Versammlungsfreiheit ausgehebelt, Protest wird mit Gewalt und Repression beantwortet und kriminalisiert, wobei Gesetze schon mal weit ausgelegt oder einfach übergangen werden. Die Kritik der Medien brauchen Innenminister Dewes, andere Verantwortliche und die einzelnen Polizeibeamten nicht zu fürchten: wie in anderen Fällen erfolgte entweder gar keine Berichterstattung oder es wurde der Polizeibericht abgeschrieben.

Weitere Informationen gerne auf Anfrage

Für die Fraktion: Wolfgang Most (Geschäftsführer)

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